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[anke]

Es war das Jahr von Anke. Anke klinge wie Akne und sei daher prinzipiell eine Plage, befand man einstimmig kurz nachdem sie die kleine Gemeinschaft mit ihrer Anwesenheit bereichert hatte.
Anke hatte nie die besten Karten. Nicht auf der Schule – im Kindergarten ging es noch: Kinder können sowohl grausam als auch gütig sein – es hielt sich in Grenzen. Ihr fehlte die Ausstrahlung, um durch innere Schönheit zu überzeugen, und die Figur, um durch primäre Reize Sympathie zu erlangen, Freunde zu haben und vor allem einen Typen abzukriegen.
So begegnete sie der Welt, wie diese ihr begegnete: mit Ablehnung. Sie war stets schroff und unfreundlich. Sie war schlau, doch menschlich eine Niete. Aber sie verstand etwas vom Fach, was sie allen in der Gemeinschaft etablierten, ohne eine Gelegenheit auszulassen, zu beweisen suchte.
Die kleine Gemeinschaft war ein Chemielabor mit circa vierzig Beschäftigten, finanziert durch die Mittel eines großen Biotechnologiekonzerns, der es sich leisten konnte, kleinere Forschungsprojekte auszulagern. Alle beschäftigten waren jung, frisch von der Uni oder noch Studenten, kaum Freaks, kaum Idioten, kaum Workaholics. Nur Anke.
Als Anke hinzu kam versuchte man, sie nett zu behandeln, so gut es ging in private Unternehmungen mit einzubeziehen, kurz, ein kollegiales Verhältnis zu ihr aufzubauen. Als dies nicht funktionierte, versuchte man, sie so gut es ging zu ignorieren. Doch Anke ließ sich nicht ignorieren. Ihr fetter Körper stand stets im Weg, ihre hässliche Seele funkte immer dazwischen.
Die Gemeinschaft im Labor funktionierte gut. Alle kamen gut miteinander aus – waren mindestens Kollegen. Ein großer Teil war befreundet: man kannte sich von der Uni oder konnte sich einfach nur gut leiden. Manche führten gar Beziehungen, ein nicht kleiner Teil der Belegschaft fickte gelegentlich miteinander. Nur mit Anke fickte keiner. Mit Anke machte keiner irgendwas, lediglich Witze über sie. Vielen war sie schlicht egal, manche hassten sie.
Es gab wie gesagt kaum Freaks im Labor, aber in paar. Genauer gesagt ein Trio. Sie glänzten durch besondere Schlagfertigkeit, geschmack- und schonungslosen Humor und ausgefallene Kreativität. Sie waren allesamt Genies in ihren chemischen Fachrichtungen und förderten so, verbunden mit ihrer Auffälligkeit die Produktivität des gesamten Teams. Sie waren Kettenraucher und die Initiatoren des laborinternen gemischten Fußballteams. In den Pausen fand man sie meistens auf dem Rasen vor dem Labor, wo sie mit Zigaretten im Mund Hochhalten spielten. Dabei kickt oder köpft man sich gegenseitig einen Fußball zu, ohne daß dieser den Boden berührt. Sie redeten dabei gern über Themen von größtmöglicher Absurdität. Einmal diskutierten sie, inwieweit man mit einem Kuchenpaket Hochhalten spielen könne, inwieweit gar mit einem dicken ausgepackten Stück Frankfurter Kranz, und was die Omas dazu sagen würden, die ihrer Meinung nach das alleinige Anrecht auf Frankfurter Kranz beanspruchten.
Das waren ihre Themen. Fußball und Kuchen ihre Leidenschaft, die Chemie ein Teil ihres Lebens. Und genau deshalb hasste Anke sie, denn sie waren ihr nicht nur menschlich haushoch überlegen, sie standen ihr auch fachlich in nichts nach. Deshalb hasste Anke die drei, und dieser Hass gab ihnen wiederum noch mehr Grund, ausführlich und schonungslos über sie herzuziehen.
„Die Pille wirkt auch gegen Anke“ war einmal auf selbstgemachten Plakaten zu lesen. Anke schwieg, grollte aber innerlich. Die drei waren stolz.
Anke rächte sich selten aber stets wirksam, indem sie nachdem die drei am Abend gegangen waren Ausdrucke in den Schredder warf oder Disketten unters Telefon legte. Einmal sabotierte sie einen kompletten Versuchsaufbau so, daß ein Monat Arbeit umsonst war.
Alle zogen, was die Arbeit betraf, an einem Strang. Anke zog dagegen und sie war stark.
Dieser Racheakt trug Anke den Unmut der gesamten Belegschaft ein, sie, dickfellig, ignorierte auch das.
Die drei, deren Anti-Anke-Propaganda als Aktion Ankes Reaktion vorausgegangen war, fielen ebenfalls in Ungnade vor ihren Kollegen, doch waren sie immerhin zu dritt. Anke war allein. Außerdem konnten sie nie so tief fallen wie Anke es konnte, dafür waren sie trotz allem noch zu beliebt.
Eine Zeit lang blieb es ruhig, denn man war damit beschäftigt, den Rückschlag im Zeitplan aufzuholen. Es sah sogar so aus, als hätte man das Kriegsbeil endgültig begraben, bis ein knappes Jahr nach Ankes Anstellung ein Zettel am schwarzen Brett auftauchte und eine Mail gleichen Inhalts über das laborinterne Netzwerk verschickt wurde: The Top 3 of The Anke-Folter-And-Bloßstellungsmethoden.
Anke sollte ein für alle mal den Arsch voll kriegen, und dieser Arsch bedurfte ob seiner Dimension einer besonderen Behandlung. Da mussten alle mit anpacken.
So rangierte auf Platz eins der Plan, Anke nackt, kniend vor dem Labor auf einem Betonklotz anzubinden, den Arsch in die Höh. Die Belegschaft wird mit einem Galeerenpaddel ausgestattet, das so groß ist, daß es nur von allen gemeinsam gehalten werden kann und auf Kommando „los“ wird Anke damit mit Schwung der Arsch versohlt. Klatsch wird es machen, so laut, daß es alle aus den umliegenden Gebäuden hören müssen. Klatsch wird es machen und die Wucht des Aufpralls wird sich in deutlich sichtbaren Wellen durch ihre Körperfettmassen vom Arsch bis zum Kopf fortsetzen — sie einfach erschüttern. Je nach Bedarf sei dies zu wiederholen.
Die drei waren stolz.
Anke verließ an diesem Tag das Labor und blieb verschwunden. Sie räumte ihren Arbeitsplatz nicht auf, ließ selbst halbwegs persönlichen Kram liegen.
Ankes Fehlen wurde bemerkt — registriert vielmehr, ihr Platz lange Zeit nicht wieder besetzt. Obwohl jeder jeden Tag sehen konnte, daß Anke gegangen war, obwohl kaum einer je den Grund für ihren Abgang vergessen würde, wurde mit größter Wahrscheinlichkeit nie wieder ein Wort über Anke gesprochen, gab es nie einen Moment kollektiver Reue.
Anke bat um fristlose Kündigung und verzichtete dafür auf eine Abfindung. Soviel war sie sich noch wert.
Sie verließ bald die Stadt, fand in einer anderen Stadt ein neues Zuhause und einen neuen Job bei einer Chemiefirma. Sie blieb fett, doch lehrte sie sich, zu leben, wie sie leben wollte, zu sein, wie sie sein wollte und nicht das dumme Spiel der Welt mitzuspielen, das sie zu dem gemacht hatte, was andere in ihr sahen. Der Klügere gibt nach, der Kluge bleibt bei sich selbst. Ich war endlich ich.

© jänz...!


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