
[smells like]
Meine Mitbewohnerinnen hören laut Nirvana – sie kommen mir
manchmal vor wie sechzehn, sind aber gerademal ein-zwei Jahre jünger
als ich. Sie bieten in all ihren doch bisweilen anstrengenden, teenagerhaften
Habitüden einen nicht uninteressanten und – zumindest für
meine Vergangenheit – nicht vollkommen unvertrauten Blick zurück
in die Tage vor Cottbus, an das Ende der Schulzeit oder manchmal noch
früher, in das Jahr als Kurt Cobain sich umbrachte.
Hier krempelt sich alles wieder hervor. Es ist wie das Ausleeren der Hosenumschläge,
die sich den ganzen Sommer über mit Sand gefüllt haben und am
Ende des Sommers krempelt man sie aus, um die Buxe endlich mal zu waschen,
und dann rieselt einem der Sand auf den Teppich oder bestenfalls auf die
Küchenfliesen, und in jedem Korn steckt ein Sonnenstrahl und eine
Erinnerung an ein paar warme Monate.
In ihrem Fall sind es nicht immer Sonnenstrahlen, sondern bisweilen Unwetter,
die durch die Wohnung toben, was mancher Erinnerung allerdings zu äußerster
Plastizität verhilft – schließlich waren die Jahre damals
zwar unbescholten doch nicht uneingeschränkt rosig, solche Erinnerungen
haben wir alle. An Kurt Cobain erinnern wir uns wahrscheinlich auch alle,
dass dieser Tage in der Presse über die Veröffentlichung der
korrigierten Version seiner Tagebücher durch Ex-Frau Courtney Love
zu lesen war, macht die Erinnerung nur noch leichter oder erzwingt sie
gar erst und lässt manchen bestimmt nevermind denken. Dazwischen
hauen natürlich auch andere Heroen der Neunziger durch die Gassen
und den Wohnungsflur. Die ganze Revolution schwingt zum frühstück
die Gitarren, steht in ihren zerschlissenen Flanellhemden Spalier wenn
ich morgens zur Toilette gehe, we’re all just rats in a cage, ich
weiß. Und sie können nicht singen, meine Mitbewohnerinnen.
Sie sind aus Italien, das nur am Rande, ich möchte hier schließlich
keine Stereotypen zementieren, beziehungsweise ortbetonieren (never forget
where you’re coming from!, nicht wahr?)
Aber das ist schon die andere Riege neunziger-jahre Heroen, um die soll
es hier nicht gehen. Wer war denn noch die Revolution, die Hängerschaft,
die Generation X (x-y ungekämmt würde ich vielleicht schreiben,
wenn ich als Redakteur bei der FAZ angestellt wäre und fünf
bis zehn Jahre älter, wenn ich die jungen Neunziger nicht selbst
jung erlebt hätte.) Ich war siebzehn im April als Kurt ging, ich
saß im ärmsten Kibbuz Israels in der Frühjahrssonne auf
einem grasbewachsenen Hügel, als jemand mit der Nachricht über
die Wiese zu uns gelaufen kam, uns informierte und sich dann schweigend
zu uns Schweigenden setzte. Geweint hat damals keiner auf dem Hügel.
Billy Corgan war auch dabei, nicht auf dem Hügel, sondern einer der
Heroen. Er ist gut durchgekommen soweit. Zuletzt Backing Vocals bei New
Order; der Mann geht seinen Weg. Ich mochte und mag seine Musik immer
noch. Auch Nirvana, nur die Zelebration ist eine andere, eine stillere
und vielleicht würdevollere.
Vielleicht bin ich auch nur alt und/oder verkrampft.
© jänz...!